Sonntag, 23. Februar 2014

Ach ja, Sizilien ... !

Liebe Freunde und Anverwandte,

nach langer Zeit finde ich nun auch endlich wieder die nötige Ruhe, um meinen Blog zu pflegen. Dass ich mich gerade in der malerischen Provence befinde, trägt sicherlich zu einer gewissen Gemütsruhe bei.

Ein etruskischer Altar auf der Akropolis von Marzabotto

Tatsächlich habe ich ja Einiges nachzuholen, schließlich habe ich all das, was sich seit dem Jahreswechsel zugetragen hat, nicht mehr dokumentiert. Nachdem der Rutsch ins Neue Jahr über die Runden gebracht war, verbrachten Elisa und ich zunächst noch einige Tage in Prato. Während Elisa fleißig an Ihrer Dissertation arbeitete, nutzte ich die Gelegenheit für ein paar weitere Ausflüge in Norditalien – zum Beispiel zu der etruskischen Stadt Marzabotto an den nördlichen Abhängen des Apennin, nach Padua, wo ich zugleich meinen alten Münchner Schützling Paolo besuchte, und nach Ferrara.
Das spätmittelalterliche Castello Estense in Ferrara

Die erste große Etappe dieses Jahres stellte jedoch Süditalien dar. Gemeinsam mit meinen beiden Mitstipendiaten Eric und Sabine wollte ich vier Wochen durch Apulien, die Basilicata, Kalabrien und Sizilien reisen. Als Florentiner im Herzen ließ es sich freilich nicht vermeiden, dass ich mit zahlreichen Vorurteilen gen Süden fuhr. Natürlich war zu befürchten, dass erstens nichts, aber auch wirklich gar nichts funktionieren würde; und dass zweitens, jede größere Stadt ein schmutziger, krimineller Sumpf sei. Die erste Befürchtung bewahrheitete sich jedoch nur sehr bedingt, die andere zum Glück gar nicht. Ganz im Gegenteil: In den vier Wochen von Mitte Januar bis Mitte Februar habe ich den Süden – insbesondere Kalabrien und Sizilien – sehr schätzen gelernt: Wir haben auf unserem langen Weg durch Süditalien zahlreiche herausragende Denkmäler und Naturschönheiten kennengelernt. Die Küche ist, zumal auf Sizilien, einfach nur großartig. Besonders in die Cannoli, mit Ricotta gefüllte, süße Waffelröllchen, könnte ich mich hineinlegen. Und zu guter letzt haben natürlich auch die menschlichen Begegnungen dazu beigetragen, dass mir diese Region besonders ans Herz gewachsen ist: Die Leute waren von einer unglaublichen Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und angenehmen Offenheit, dabei aber nie aufdringlich. Die netteste Begegnung hatten wir in einer Pizzeria in Kalabrien: Der junge Besitzer, offensichtlich ein Italiener, stellte sich im Gespräch als Marcello vor, der in Ottobrunn groß geworden war – und das mit einer Mischung aus leicht effeminiertem Habitus und münchnerischem Dialekt.


Das Castel del Monte von seiner Schokoladenseite

Um diesen Eintrag nicht allzu langatmig werden zu lassen, will ich nur noch einige ausgewählte Impressionen meiner Süditalien-Tour Revue passieren lassen. In Apulien begab ich mich zunächst einmal auf die Spuren Friedrichs II. von Hohenstaufen, Enkel Friedrich Barbarossas, deutscher Kaiser und zugleich König des Normannenreichs beider Sizilien. Der liebste Ort in seinem großen Reich, das sich von der Südspitze Siziliens bis zur Nordsee erstreckte, war ihm jedoch das sonnenverwöhnte Apulien. Dort hat der überaus gebildete und antikenbegeisterte Kaiser auf Schritt und Tritt seine Spuren hinterlassen. Eines der eindrucksvollsten Monumente ist die berühmte Festung „Castel del Monte“, in deren Architektur und Ausstattung römische, gotische und arabische Elemente miteinander verschmelzen. Den in der nahegelegenen Stadt Barletta aufgestellten „Koloss von Barletta“, das spätantike Bronzestandbild eines Kaisers, soll einer Überlieferung zufolge übrigens bei Ausgrabungen in Ravenna entdeckt worden sein, die Friedrich II. angeordnet hat. In gewissem Sinne also ein Kaiser als Archäologe …
Der Koloss von Barletta

Die Festungsmauern der Lukanersiedlung auf dem Monte Croccia
Nach den ersten Tagen in Apulien traf ich mit Sabine und Eric zusammen, die mich für die folgenden gut drei Wochen in ihrem VW Passat mitnahmen. Zunächst ging es die ionische Küste von Tarent bis nach Reggio Calabria hinunter. Hier reiht sich eine griechische Kolonie an die nächste – Tarent, Metapont, Sybaris, Siris, Kroton, Lokri und wie sie nicht alle heißen mögen. Dabei handelt es sich um Städte, die von griechischen Aussiedlern ab dem 8. Jh. v. Chr. gegründet wurden, da die eigene Heimat die zunehmend wachsende Bevölkerung nicht mehr versorgen konnte. In Süditalien stießen die Kolonisten zwar auf unendlich weite Ackerflächen und auf geschützte, natürliche Häfen, aber auch auf Einheimische. Diese waren mit der Landnahme durch die Griechen – so sind Einheimische nun mal – nicht immer einverstanden und setzten sich teils entschieden zur Wehr. Bei einem Abstecher ins Landesinnere machten wir uns auf die Suche nach einer indigenen Siedlung. Auf dem Monte Croccia stießen wir auf die wehrhaften Mauern einer befestigten Ortschaft der Lukaner, die sich über viele Generationen hinweg durch politisches Taktieren und Kampfgeschick gegen Griechen im Süden und Römer im Norden behaupten konnten.

Der sogenannte Tempel E von Selinunt

Die Griechenstädte Süditaliens müssen sagenhaft reich gewesen sein. Auf dem Festland lässt sich dies nur noch aufgrund der zahllosen Grabbeigaben aus Gold und anderen teuren Materialien sowie aufgrund der gewaltigen Ausdehnung der ummauerten Stadtareale erahnen. Eine Fläche von 100 Hektar scheint jedenfalls nicht unüblich gewesen zu sein. Eine konkretere Vorstellung erhielten wir erst auf Sizilien. In Syrakus, Agrigent und Selinunt – um nur die drei berühmtesten Griechenstädte der Insel zu nennen – reiht sich ein Tempel an den nächsten. Gewaltige Befestigungsanlagen, die zu ihrer Zeit zu dem Modernsten zählten, was der Festungsbau zu bieten hatte, schützten diese Städte im 4. Jh. v. Chr. Mindestens ebenso präsent sind auf Sizilien jedoch die Spuren der Römer, etwa in den Theatern von Taormina und Catania oder in den prächtigen spätantiken Villenanlagen von Piazza Armerina und Patti Marina. Und dann ist da natürlich auch noch das mittelalterliche Sizilien, in das sich die Araber ebenso wie die Normannen und Friedrich der II. eingeschrieben haben. Ach ja, auf Sizilien lassen sich im Übrigen auch die barocken Zentren von Noto, Ragusa und Catania bewundern. Kurz und gut: Diese Insel ist ein Freiluftmuseum der abendländischen Geschichte und auch nach zwei Wochen auf Sizilien hatte ich irgendwie noch das Gefühl, mit meinen Erkundungen gerade erst begonnen zu haben …
Das barocke Noto

Liebe Grüße, wo auch immer Ihr gerade seid,

Euer Marcel